VVV - innerhalb von 6 Monate Teil 2

VVV - innerhalb von 6 Monate Teil 2

Danica Kovacevic

Okay, ich gebe zu. Der nächste Abschnitt handelt nicht von unserer Beziehung. Aber er hat unheimliche Folgen für uns als Einzelperson, uns zusammen und dementsprechend verändert es einfach alles.

Markos Mama hatte uns von Anfang an sowohl seelisch als auch finanziell unterstützt seit Beginn der Ausbildungen.
Ich mein, seien wir mal ehrlich, wir hatte beide einen täglich langen Fahrtweg und auch sonst kriegt man ja nicht sonderlich viel in der Ausbildung.
Marko hatte noch einen Nebenjob, weil sich bei ihm alles in der Schule bzw. in den Werkstätten abgespielt hat und er ein wenig mehr Zeit hatte als ich. 
Aber gereicht hat es vorne und hinten nicht - ohne die Hilfe von Markos Mama.
Ja und auch der seelische Part ist nicht zu vernachlässigen. Denn ich hatte echt eine Horrorausbildung (macht nie bei Kroaten in Deutschland eine Ausbildung oder arbeitet bei ihnen!).


Ich vertiefe mich da nicht weiter, denn die nächste Geschichte erzähle ich ganz genau. Ihr kriegt einiges zu lesen und ihr könnt hoffentlich die Dramatik dahinter besser verstehen, nachdem ich euch sage, was im August 2014 passiert ist.

Es war Ende Juli, als Markos Mama ins Krankenhaus kam. Sie hatte davor zahlreiche Ärzte besucht und diese hatten einen Bandscheibenvorfall bzw. mehrere festgestellt, die sich scheinbar über Jahre schon gezogen haben. Sie hat es schon vorher gewusst. Allerdings konnte sie es mit zahlreichen Therapien nicht heilen, also musste sie in Krankenhaus.

In diesen Tagen war alles komisch. Wir haben gelebt wie in Trance. Wie wenn wir von irgendwas gesteuert werden im Sagen und im Tun.
Richtig bewusst ist uns das aber erst im Nachhinein geworden.
Marko hatte sich aus heiterem Himmel die Haar schwarz gefärbt, weil seine Mutter sein Bild mit schwarzen Haaren immer so gemocht hat (?), ich hatte ihr gesagt wie ich sie schätze als beste Freundin und wie viel sie uns Unterstützung gibt. Ich hatte geweint bei ihr im Zimmer (ich hatte vor ihr nie geweint) und habe mir den ganzen Stress mit der Ausbildung von den Schultern geweint. Sie hatte geweint. Weil sie mit ihrer Schwester telefoniert hatte und davon geredet hat, sie würde nur noch gerne unsere Kinder sehen wollen. Der Arzt war komisch.
Ich hatte meinen Bruder gebeten sie im Krankenhaus mit meinem Neffen zu besuchen, dass sie sich bestimmt freuen würde (sie kennen sich schon, aber auch jetzt nicht so gut. Fragt mich nicht wieso ich das gemacht habe).
Sie hatte ihrer depressiven Zimmernachbarin wieder Hoffnung zum Leben gegeben.
Und kam am Sonntag vor der OP komplett in weiß und mit voller Kraft an einem sonnigen Tag zu uns vor das Krankenhaus.

Ich werde diese ganzen komischen Geschehnisse niemals vergessen.
Denn es kam der Montag, an dem die OP hätte stattfinden sollen.
Sie hatten sie abgeholt und sie vorbereitet, um sie dann nach einer Stunde wieder ins Zimmer zu schieben.

DIENSTAG

Die OP wurde verschoben auf Dienstag. Dienstag war so ein spezieller Tag für sie. Sie kam an einem Dienstag damals als sie mit Marko schwanger war ins Krankenhaus. Es gab Schwierigkeiten und ihr Leben hing am seidenen Faden. Sie war eigentlich schon auf dem Sterbebett. Marko kam an diesem Tag und 3 Monate vor Geburtstermin per Kaiserschnitt zur Welt. Sie hatte sich ins Leben gekämpft und wurde an einem Dienstag entlassen. Und sie durften an einem Dienstag einen gesunden Marko wieder aus dem Krankenhaus abholen.

Also war Dienstag die OP. Gut.

Wir hatten das ganze Wochenende mit ihr verbracht. Haben viel geredet.
Und Montag mussten wir arbeiten. Da konnten wir sie nicht besuchen.
Haben uns aber telefonisch mit ihr gehört.
Sie hatte den ganzen Tag panische Angst. Und sie ist ganz und gar nicht der Typ dafür.

Der Dienstag war nun da und ich hatte gefragt, ob ich zeitig nach Hause kann.

Marko war schon um 15 Uhr daheim und ich hätte um 15:30 Uhr daheim sein sollen.
Ich konnte mit Marko aber nicht telefonieren, weil er mittags sein Mikrofon am Handy sauber gemacht hat.
Und dann ist seine Scheibe zersprungen und er konnte es nicht mehr bedienen. Das war so genau da, als die OP hätte vorbei sein sollen.
Aber wir hatten uns am Morgen so abgesprochen, das war dann ok. Seinen Papa konnte er dann aber nicht mehr anrufen. Und Anrufe entgegennehmen auch nicht. 

Ich war kurz vor daheim, als Marko mich vom Haustelefon anrief:
"Sie haben aus dem Krankenhaus angerufen von der Nummer von meinem Vater. Aber ich weiß nicht was los ist. Sie hat nur gesagt wir sollen schnell kommen."

MEIN HERZ STAND STILL.

Wir haben bis heute keine Ahnung, wieso sein Handy genau bei diesem Anruf von seinem Papa von alleine abgenommen hat. Sonst hat es einfach nie wieder funktioniert. Wir mussten ihm ein neues kaufen. 

Marko ist mir schon entgegen gefahren, wir haben das eine Auto eine Stadt vorher abgestellt und waren für eine Strecke von einer Stunde in 30 Minuten im Krankenhaus.

Wir sind alle Szenarien auf dem Weg durchgegangen. Keine davon war später richtig.

Panisch hatten wir einen Parkplatz gesucht, hatten kein Ticket gezogen.

Sind aus dem Auto gerannt.

Sind in das Krankenhaus gerannt.

Sind in ihr Zimmer gerannt.

An der Stelle wo ihr Bett stehen sollte war alles leer.

Wir sind zu ihrer Bettnachbarin gegangen. 

"Sie hätte schon längst da sein sollen. Sie wollen mir nicht sagen was los ist!"

 

Schnell rannten wir zurück in den Flur und haben eine Schwester gesehen. 

 

"Ihr müsst auf die Intensivstation."

 

Ihren Blick werde ich niemals vergessen.

 

Die nächsten 5 Minuten kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Alles um uns herum war verschwommen. Unsere Beine rannten.

INTENSIVSTATION.

Die Tür ist abgeschlossen. Wir atmen beide gleichzeitig tief ein. Meine zitternde Hand klingelt. Ich denke mir: "Okay, im schlimmsten Fall wird sie im Koma sein." Mein Atmen wird noch schwerer. 

Die Tür geht schnell auf. Sie haben auf uns gewartet. 

 

Wir atmen nochmals tief ein und gehen einer Frau ein paar Schritte hinterher.

Vor uns stehen Menschen in weißen Kitteln. 

Sie schauen auf den Boden. 

Die Frau vor uns führt uns allerdings nach rechts auf einen Gang weiter.

KURZ HÖRTE DIE WELT AUF SICH ZU DREHEN.

Es öffnet sich eine Tür auf der rechten Seite.

Markos Vater sitzt auf den Stühlen rechts. Links sitzen Menschen in weißen Kitteln.

Vor uns ein Mann in schwarz.

Markos Vater weint - untröstlich.

"Es ist zu Komplikationen gekommen. Wir haben bei ihrer Mutter die Hauptarterie beschädigt. Sie hat es nicht überlebt."

ICH SPÜRE WIE ALLE MEINE KNOCHEN ZU WINZIGEN STAUBHAUFEN ZERBRÖSELN.

Weitere Einzelheiten will ich euch ersparen. Denn ab diesem Tag waren wir nur am struggeln. Wir hatten niemals mit so etwas gerechnet, auch nicht nachdem dieser Anruf kam. Unsere Ausbildungen liefen. Wir mussten frei nehmen. Wir mussten eine Abschiedsfeier in Deutschland organisieren. Mussten mit tausenden von Menschen reden. Mussten Markos Papa betreuen. Und mussten dann noch nach Kroatien fahren. Nachdem wir 3 Tage nicht geschlafen haben. 

Ein Tod ist nie einfach. Auch nicht nach Jahren. Niemals. Der Tod ist zwar etwas das passiert und eben oft auch einfach, wenn man damit nicht rechnet. Aber wir waren dem nicht gewachsen.

Meine Vorgesetzte war die Hölle (ich weiß, ich habe schon einmal gesagt, aber jetzt nochmals). Sie hatte gesagt ich soll gefälligst nach 3 Tagen arbeiten kommen (Sie hatte natürlich den ganzen August Urlaub und ich war als Azubi einfach alleine für den ganzen Betrieb zuständig). 

Nach 3 Tage hatte ich ihr gesagt, dass ich nicht kommen kann. Ich konnte die beiden nicht alleine lassen. 

Ich hatte mir noch eine Woche erkämpft. 

 

Aber nach dieser Woche musste ich wieder. Ich war nicht bereit, aber danach hatte mich niemand gefragt.

Marko war krank geschrieben. Und sein Vater hatte ein paar Tage bei uns geschlafen. 

 

Da hatte Marko die erste Überdosis Antidepressiva. Wir waren im Krankenhaus als er einen Nervenzusammenbruch hatte. 

Genau zwei Wochen später genau noch einmal das gleiche Szenario. 

 

Ich hatte immer mehr Probleme bei der Arbeit, weil ich nach der Rückkehr meiner Vorgesetzten krank geschrieben war. 

Meine Kräfte waren am Ende. Mehr als am Ende.

Zu dieser Zeit und die Jahre danach, ging es stetig bergab bei uns, bei Marko und bei mir selbst. Wir hatten unseren Anker verloren. 

Finanziell ging nicht mehr viel. Und Markos Vater ist nach Kroatien gezogen.

 

Und es lief noch nebenher immer die Klage gegen das Krankenhaus. Und die Sache möchte man sich ersparen. Denn ich war so gesehen die einzige Zeugin, weil Marko und sein Papa nicht zählen. 

 

Nach Jahren musste ich das abbrechen, weil ich die Lügen und die Spielchen nicht mehr ausgehalten habe. 

Ich musste einen Schlussstrich ziehen. 

Markos Ausbildung war 2016 vorbei. Gegen Anfang 2017 ging es für uns wieder ein wenig bergauf. 

Marko hatte einen festen Job, wir hatten eine neue, größere, abgelegene Wohnung gekauft. Ich hatte für das letzte Ausbildungsjahr einen anderen Ausbildungsplatz gefunden und konnte diese im Sommer 2017 mit 'sehr gut' abschließen. Am Ende meiner Ausbildung hatten wir einen längeren Roadtrip durch Florida geplant.

Alles ist besser geworden. Aber dennoch hatten wir einfach viel zu oft ein Tief und fielen in die Trauer zurück. Viel zu viel haben wir dadurch gestritten. Im Oktober 2017 fingen wir beide eine Weiterbildung an. Marko in Heilbronn bei der IHK als Techniker und ich über einen Online Studienlehrgang als Wirtschaftsfachwirtin.

 

Es war nicht die richtige Zeit dafür, das wissen wir jetzt. Damals aber nicht.

Denn im Mai 2018 sind wir in die neue Wohnung gezogen und haben sie gleichzeitig komplett renoviert. Ich hatte einen neuen Job ab Juni bekommen. Und Marko hatte seine Überstunden für die erste Zeit genutzt. 

Den Großteil haben wir im Mai geschafft, aber ich hatte dann einen verschleppten Hexenschuss und konnte mich dann gar nicht mehr bewegen. Gar nicht. Nicht laufen. Nicht aufstehen. Nichts. 

Anfang Juni landete ich deshalb im Krankenhaus für eine Woche.

Nach einem halben Monat ging es einigermaßen, sodass ich nur noch Schmerzen beim Sitzen hatte. Das habe ich mit Schmerztablette unter Kontrolle gehalten bis es völlig verschwunden war.

Im Juli 2018 merkten wir einfach, dass alles zu viel war. Wir kamen mit den Weiterbildungen nicht vorwärts. Marko entschied sich für seinen Job und die Renovierung und gegen die Weiterbildung. Und ich entschied mich die Weiterbildung zu machen, weil ich die ersten Prüfungen bereits bestanden habe.

Die Weiterbildung hatte ich geschafft (Herbst 2019), aber ich hab die Bücher, bis auf eine Zusammenfassung und Übungen, nicht angefasst.

Ich hatte ja auch schließlich im Sommer 2017 mit der Fotografie begonnen. Und das kam zusätzlich auch noch hinzu, weshalb ich im Januar 2019 von Vollzeit in Teilzeit wechselte, um die Renovierung, den Haushalt, die Fotografie und Weiterbildung unter einen Hut zu kriegen. Marko hatte zu der Zeit wieder einen neuen festen Vollzeitjob.

 

Ja, man könnte meinen es würde für uns wieder bergauf gehen. Aber ich hatte ja schon gesagt, dass es einfach nie wieder wie davor war. Und das stimmte auch. Denn mit der Trauer mussten wir immer noch umgehen. Sie war bei den bedeutendsten Dingen nie da. Und auch den Kinderwunsch konnten wir ihr nicht erfüllen. Denn da waren wir ab Herbst 2019 auch noch für ein halbes Jahr in Behandlung - erfolglos. 
Zusätzlich kam ja unser Nachbarproblem hinzu und wir mussten feststellen, dass der Ort an dem wir uns wohlfühlen sollten, genau das eben nicht war. Es wurde von Monat zu Monat schlimmer. 

Und falls ihr euch gewundert habt, dass ich das Wort "Jobkündigung" in den letzten zwei Absätzen nicht schon wieder erwähnt habe: Anfang Dezember 2019 hatte Marko eine Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen erhalten.
Wir mussten lachen.

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